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Die Mayens des Val d’Hérens

Januar 15, 2025

Seit jeher hat der Mensch die Natur nachgeahmt. Den Tieren folgend, die sie nach und nach domestizierten, wurden aus Jägern Bauern, die ihre Behausungen nach dem Vieh und den Jahreszeiten ausrichteten.

Zwischen den traditionellen Dörfern des Val d’Hérens und den hochgelegenen Alpweiden verbirgt sich ein einzigartiger architektonischer Schatz: die Mayens. Diese temporären Behausungen, die hauptsächlich im Mai – daher ihr Name – bewohnt wurden, erzählen eine faszinierende Geschichte der Anpassung an die Berge und überlieferter Weisheit.

Sie sind weit mehr als einfache Almhütten. Sie zeugen von einer architektonischen Intelligenz, die tief im Verständnis von Gelände und Klima verwurzelt ist. Im Val d’Hérens, besonders um Evolène, staffeln sich diese Bauten harmonisch zwischen den Dörfern und den Hochalmen.

Jedes Detail ihrer Konstruktion offenbart eine perfekte Anpassung an die Bergumgebung. Die oft aus Trockensteinen errichteten Mauern speichern die Wärme. Die traditionell mit Lärchenholzschindeln gedeckten Dächer schützen vor Unwetter und entwickeln mit der Zeit unter Sonneneinwirkung eine charakteristische kupferne Patina.

Das Leben in den Mayens folgte – und folgt manchmal noch – dem natürlichen Rhythmus der Jahreszeiten. Im Frühling, wenn der Schnee zu schmelzen beginnt und das Gras wieder grünt, zogen die Familien (hauptsächlich Frauen und Kinder) mit ihrem Vieh hinauf, um die ersten Weiden zu nutzen. Ein weiterer Aufenthalt fand im Herbst bei der Rückkehr von den Alpen statt, wodurch eine vertikale Transhumanz entstand, die perfekt an die Ressourcen der Berge angepasst war.

Das Innere der Mayens erzählt die Geschichte eines einfachen, aber genialen Lebens. Der Hauptraum, oft der einzige in den ältesten Bauten, diente gleichzeitig als Küche, Schlafzimmer und Wohnraum. Die Feuerstelle, traditionell in der Mitte und später in einer Ecke platziert, spielte eine zentrale Rolle: Sie wärmte nicht nur den Raum, sondern ihr Rauch diente auch zur Konservierung von Fleisch und Ziger, während er auf natürliche Weise Holz und Kleidung vor Insekten schützte. In einigen Mayens findet man noch den «Brenno», eine geniale Konstruktion aus Balken und übereinander gestapelten Brettern, die die Vorräte vor Nagetieren schützte.

Die Einrichtung, vollständig aus heimischem Holz – hauptsächlich Lärche und Arve – gefertigt, zeugt von minutiösem Handwerk: massive Tische, robuste Bänke und geniale Aufbewahrungssysteme, angepasst an das Bergleben. Selbst die Küchenutensilien, von Löffeln bis zu großen Milchbehältern, wurden aus Holz geschnitzt und zeigen die optimale Nutzung der lokalen Ressourcen.

Heute bedeutet das Wandern auf den Pfaden des Val d’Hérens zur Entdeckung der Mayens eine Zeitreise. Diese Bauten erzählen die Geschichte einer Region, in der die Traditionen lebendig bleiben. Zwischen den Wiesen, wo der Duft frisch gemähten Heus die Luft erfüllt, und den Lärchenwäldern, die sich im Herbst kupferfarben färben, zeugen die Mayens von einer seltenen Harmonie zwischen Mensch und Berg.

Das Val d’Hérens ist kein bloßes Freilichtmuseum. Diese jahrhundertealten Bauten, von denen einige bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen, entwickeln sich weiter und bewahren dabei ihre Authentizität. Einige wurden respektvoll restauriert, andere behalten ihr ursprüngliches Aussehen, wodurch eine einzigartige Kulturlandschaft entsteht, in der die Vergangenheit ständig mit der Gegenwart im Dialog steht.

Die Mayens sind weit mehr als nur ein architektonisches Erbe: Sie sind das Zeugnis einer bergbäuerlichen Weisheit, die besonders in unserer Zeit nachhallt, in der die Suche nach einem harmonischeren Verhältnis zur Natur immer wichtiger wird.

Um die Mayens zu entdecken, durchziehen zahlreiche markierte Wanderwege das Val d’Hérens. Frühling und Herbst sind besonders günstige Zeiten, um diese traditionelle Architektur in ihrer sich wandelnden Naturumgebung zu beobachten.

 

Bildnachweise:
Jean Simonnot, Médiathèque Valais – Martigny
Fonds Fridolin Imstepf, Médiathèque Valais – Martigny

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